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Biozentrum der Universität Würzburg

Veranstaltungsarchiv

Warum ist Spinnenseide belastbarer als Stahl?

17.04.2018

Webspinnen können in ihren Spinndrüsen Fäden erzeugen, die, bezogen auf das Gewicht, deutlich belastbarer und zugleich wesentlich elastischer sind als Stahl. Diese bemerkenswerten Eigenschaften wecken das Interesse von Ingenieuren und Grundlagenforschern.

Bild: Lösliche Seidenproteine durchlaufen im Spinnkanal von Webspinnen Struktur- und Phasenübergänge, bevor aus ihnen eine feste Faser für den Netzbau ensteht.
Lösliche Seidenproteine durchlaufen im Spinnkanal von Webspinnen Struktur- und Phasenübergänge, bevor aus ihnen eine feste Faser für den Netzbau ensteht.

Forscher am Biozentrum der Julius-Maximilians-Universität Würzburg wollen das Geheimnis dieser besonderen Eigenschaften lüften und haben dafür eine großzügige Förderung erhalten.

Proteinfaltung und -dynamik

Proteine sind die wichtigsten molekularen Funktionsträger des Lebens. Sie werden als lineare Ketten aus Aminosäuren synthetisiert, die nach ihrer Synthese eine einzigartige dreidimensionale Struktur annehmen. Dieser Prozess wird als Proteinfaltung bezeichnet. Kleine Proteindomänen falten sich spontan durch Mechanismen, die in der Aminosäuresequenz kodiert sind. In der überfüllten Umgebung einer lebenden Zelle benötigen viele Proteine aber die Unterstützung von Hilfsproteinen, so genannten Chaperonen, um ihre korrekte Faltung zu finden und um Fehlfaltungen und Aggregation zu vermeiden. Die zugrunde liegenden Mechanismen werden intensiv untersucht. Ihr Verständnis würde die Vorhersage der Proteinstruktur aus der Aminosäuresequenz ermöglichen. Vielleicht noch wichtiger ist, dass man verstehen könnte, was schief geht, wenn Proteine sich nicht korrekt falten. Fehlerhafte Proteinfaltung kann ursächlich sein für verschiedene Krankheitsbilder, unter ihnen neurodegenerative Erkrankungen und Krebs.

In den vergangenen Jahren kam es zu einer Explosion der Anzahl atomar aufgelöster Proteinstrukturen, die in der Proteindatenbank (www.rcsb.org) hinterlegt wurden. Diese Strukturen bilden die Grundlage für unser Verständnis von Proteinfaltung und -funktion. Heute wissen wir, dass diese Information nicht ausreicht. Viele Proteine sind makromolekulare Maschinen, die ihre Konformation während der Funktion ändern. Überdies bleibt ein signifikanter Teil des menschlichen Proteoms (die Gesamtheit der Proteine) intrinsisch ungeordnet, was ein Verständnis ihrer Funktionsmechanismen erschwert.

Das Labor Neuweiler

Das Labor von Hannes Neuweiler entwickelt hochauflösende Fluoreszenzsonden zur Untersuchung von Faltung und Dynamik ausgewählter Proteine, die in der Humanbiologie und Materialwissenschaft von Bedeutung sind. Das Labor setzt Protein-Engineering ein, um Fluoreszenzsonden zu generieren und den Beitrag einzelner Aminosäureseitenketten zur Faltung und Funktion der Proteine zu untersuchen. Methoden der Molekularbiologie werden mit moderner Fluoreszenz- und komplementärer Proteinspektroskopie unter Einbeziehung von Einzelmolekül-Methoden und kinetischen Experimenten in multidisziplinären Ansätzen kombiniert.

Der Forscher

Seit 2010 ist Hannes Neuweiler Dozent und Gruppenleiter am Lehrstuhl für Biotechnologie & Biophysik des Biozentrums Würzburg. Er studierte Chemie an den Universitäten Frankfurt und Heidelberg und promovierte dort. Als Postdoc am Institut für Laserphysik und Laserspektroskopie (Universität Bielefeld) entwickelte er Fluoreszenzmikroskopie für schnelle Peptiddynamik. Als Marie-Curie-Stipendiat (6. Rahmenprogramm der EU) im Labor von Prof. Alan Fersht am Centre for Protein Engineering in Cambridge (UK) hat er seine Methodenentwicklung in Forschungen zu Proteinfaltung und -dynamik zum Einsatz gebracht. 

Licht auf die Selbstmontage von Spinnenseidenproteinen werfen

Ein besonderes Interesse des Neuweiler-Labors gilt den Proteinen, die Spinnenseide bilden. Diese Eiweißbausteine heißen Spidroine (von "Spider" und "Fibroin") und werden in hoher Konzentration in Spinndrüsen gespeichert. Spidroine durchlaufen während ihrer Zusammenlagerung im Spinnkanal, in dem die Faser entsteht, Phasen- und Strukturübergänge. Das so entstandene Material übertrifft die mechanischen Eigenschaften von künstlichen Fäden und ist ein Schwerpunkt der aktuellen biomimetischen Materialwissenschaft. Bis heute sind viele Aspekte, wie Spinnen solches Material von außergewöhnlicher Zähigkeit synthetisieren, unklar.

Ein aktuelles Vorhaben zielt auf die Entschlüsselung der molekularen Architektur der Spidroin-Bausteine mittels hochauflösender Fluoreszenzmikroskopie – ein Projekt, das in Zusammenarbeit mit Prof. Markus Sauer, dem Leiter des Lehrstuhls für Biotechnologie & Biophysik am Biozentrum Würzburg durchgeführt wird. Ziel des Projektes ist es, synthetische Spidroine mit extrinsischen Fluoreszenzfarbstoffen ortsspezifisch zu markieren und so die Mechanismen der Zusammenlagerung der Proteine und ihre Architektur in Spinnenseide zu studieren.

Bei der Suche nach Fördermitteln für dieses Vorhaben wurde Hannes Neuweiler im Ausland fündig. Im Sommer 2017 erreichte sein Forschungsantrag im Rahmen der Evaluation des Förderprogramms des US Army Research Laboratory, das Grundlagenforschung aus verschiedenen Fachbereichen unterstützt, hervorragende Bewertungen und erhielt insgesamt 380.000,- USD für das dreijährige Projekt. 

Kontakt

Dr. Hannes  Neuweiler
Biozentrum der Universität Würzburg
Lehrstuhl für Biotechnologie und Biophysik
Tel: +49 931 31-83872

Von Hannes Neuweiler / Günter Brönner