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    Biozentrum der Universität Würzburg

    Der Quastenflosser lebt monogam

    17.09.2013

    Zum ersten Mal ist es Wissenschaftlern gelungen, den Nachwuchs trächtiger Quastenflosser-Weibchen genetisch zu untersuchen. Dabei zeigte sich, dass die Brut – anders als bei vielen anderen Fischarten – mit hoher Wahrscheinlichkeit einen gemeinsamen Vater hat.

    Seit vielen Millionen Jahren lebt der Quastenflosser beinahe unverändert in den Tiefen des Meeres. Für Wissenschaftler ist er deshalb ein begehrtes Forschungsobjekt. (Foto: Blancpain)
    Seit vielen Millionen Jahren lebt der Quastenflosser beinahe unverändert in den Tiefen des Meeres. Für Wissenschaftler ist er deshalb ein begehrtes Forschungsobjekt. (Foto: Blancpain)

    Bis zum 23. Dezember 1938 war die Wissenschaft davon überzeugt, dass Quastenflosser seit mehr als 60 Millionen ausgestorben waren. Nur ein paar versteinerte Abdrücke zeugten von der Existenz dieser Tiere – vor mehr als 300 Millionen Jahren. Ein Irrtum, wie sich an diesem Tag zeigte. Da entdeckten Fischer vor der südafrikanischen Küste in ihrem Schleppnetz einen graublauen, etwa 1,50 Meter langen und 52 Kilogramm schweren Fisch: das erste Exemplar eines lebenden Quastenflossers. 14 Jahre später gelang es, ein zweites Exemplar zu fangen, gut 3000 Kilometer von der ersten Fundstelle entfernt, vor den Komoreninseln und nördlich von Madagaskar. Inzwischen sind dort etwas mehr als 300 Exemplare nachgewiesen.

    Zwei trächtige Weibchen untersucht

    Jetzt ist es Wissenschaftlern zum ersten Mal gelungen, den Nachwuchs von zwei trächtigen Quastenflosser-Weibchen genetisch zu untersuchen. Federführend dabei waren Professor Manfred Schartl, Inhaber des Lehrstuhls für Physiologische Chemie am Biozentrum der Universität Würzburg, und seine frühere Mitarbeiterin Kathrin P. Lampert, die inzwischen an der Universität Bochum forscht. In der Fachzeitschrift Nature Communications stellen sie die Ergebnisse ihrer Untersuchungen vor.

    Die Forscher haben dabei auf eine Technik gesetzt, wie sie auch beim Menschen zum Einsatz kommt, wenn es beispielsweise darum geht, einen Vaterschaftsnachweis zu führen: die sogenannte Mikrosatelliten-Analyse. Mikrosatelliten sind kurze, aus nur wenigen Bausteinen bestehende Abschnitte der DNA, die sich typischerweise bis zu 50 Mal wiederholen können. Erbinformationen tragen sie im Allgemeinen nicht, werden aber durch beide Elternteile vererbt.

    „Weil wir den Genotyp der Mutter kennen, konnten wir mit Hilfe der Mikrosatelliten-Analyse eindeutig zeigen, dass der Quastenflosser-Nachwuchs jeweils nur einen einzigen Vater hat“, fasst Manfred Schartl die zentralen Ergebnisse der Studie zusammen. Demnach müssen Quastenflosser-Weibchen monogam leben – zumindest zeitweise. Tatsächlich konnte das Team sogar den „hypothetischen Genotyp“ beider Väter rekonstruieren; allerdings fanden sich diese Exemplare nicht unter den bisher zufällig gefangenen und genetisch analysierten Tieren.

    Drei Jahre dauert die Schwangerschaft

    Bei vielen Fischarten findet die Befruchtung der Eier außerhalb des Körpers statt. Die Weibchen legen die Eier an einer ruhigen Stelle im Gewässer ab; anschließend geben die Männchen – das können auch mehrere sein – ihren Samen dazu. Der Nachwuchs wächst dann ohne elterlichen Schutz im Wasser heran. Anders läuft dieser Prozess beim Quastenflosser ab: „Quastenflosser sind Lebend-Gebärende. Das heißt, die jungen Fische kommen voll entwickelt auf die Welt, nachdem sie im Leib der Mutter herangereift sind“, erklärt Schartl. Den Schätzungen der Wissenschaftler nach dauert die „Schwangerschaft“ beim Quastenflosser etwa drei Jahre.

    Nur ein Vater für jede Brut

    An Gewebeproben eines Quastenflosser-Muttertiers und seines kompletten Wurfs zu gelangen, ist schwierig und gelingt nur selten. Möglich wurde es nun durch Mitarbeiter des Geomar-Forschungszentrums in Kiel und Tutzing, die den Quastenflosser seit vielen Jahren erforschen.

    So konnten die Wissenschaftler zwei Exemplare trächtiger Quastenflosser-Weibchen untersuchen. Beide Tiere standen kurz davor, ihren Nachwuchs zu gebären. 26 Embryos trug das eine Weibchen, das vor der Küste Mosambiks zufällig einem Fischtrawler ins Netz gegangen war, 23 das andere, das sich vor Sansibar in einem Netz verfangen hatte, das für den Fang von Haien ausgelegt war.

    An ihnen nahmen die Wissenschaftler die genetische Analyse vor und verglichen 14 charakteristische Stellen des Genoms miteinander. Dabei stießen sie nur auf geringfügige Unterschiede, beziehungsweise auf zahlreiche Übereinstimmungen. „Das legt den Schluss nahe, dass jede Brut nur einen Vater hat“, sagt Schartl.

    Rätselraten über den Fortpflanzungsakt

    Rätsel bereitet den Wissenschaftlern allerdings die Frage, wie der Zeugungsakt beim Quastenflosser vonstattengeht. Schließlich verfügen die Tiere über keine sichtbaren äußeren Geschlechtsorgane. Auch die Tatsache, dass sich die Weibchen jeweils nur mit einem Männchen paaren, bietet Stoff für weitere Untersuchungen. „Normalerweise sind Weibchen daran interessiert, den Nachwuchs mit den bestmöglichen Überlebenschancen auf die Welt zu bringen, und das in möglichst großer Zahl“, sagt Schartl. Sich mit mehreren Männchen zu paaren ist dabei eine erfolgversprechende Strategie. Sie erhöht die Chance auf eine erfolgreiche Befruchtung, sorgt für eine hohe genetische Variabilität beim Nachwuchs und macht es möglich, dass die besten Gene weitergegeben werden.

    Warum Weibchen sich nicht mehrfach paaren

    Warum das Quastenflosser-Weibchen diese Strategie nicht verfolgt, darüber können die Wissenschaftler bislang nur spekulieren. Es könnte sein, dass die Vorteile einer mehrfachen Paarung die Kosten, die das Weibchen dafür zahlen muss, nicht überwiegen. Unter „Kosten“ fallen dabei der gesteigerte Energieaufwand bei der Suche nach weiteren Männchen, die Gefahr, Fressfeinden zum Opfer zu fallen, und ein erhöhtes Infektionsrisiko.

    Im Erbgut des Quastenflosser-Nachwuchs stießen die Forscher auf ein weiteres interessantes Detail: „Vater und Mutter einer Brut waren nicht näher miteinander verwandt als die Mehrzahl von zufälligen Paaren einer Quastenflosser-Population“, erklärt Manfred Schartl. Das könnte bedeuten, dass die Weibchen es vermeiden, sich mit nahen Verwandten zu paaren. Oder dass andere Merkmale für die Wahl des passenden Partners ausschlaggebend sind, beispielsweise Größe und Körperbau oder die Widerstandskraft gegen Parasiten. „Es könnte aber auch sein, dass Quastenflosser nicht die Fähigkeit besitzen, Verwandtschaft zu erkennen“, sagt Schartl.

    Quastenflosser – das lebende Fossil

    Quastenflosser werden gerne auch als „lebende Fossilien“ bezeichnet. Heutige Exemplare ähneln den versteinerten Abdrücken ihrer mehr als 300 Millionen Jahre alten Vorfahren stark. Ihre Gene haben sich im Laufe der Evolution deutlich langsamer als die anderer Lebewesen verändert. Deshalb lässt sich am Quastenflosser-Genom die Arbeit der Evolution in einzigartiger Weise studieren.

    Zusätzlich steht der Quastenflosser nahe an der Schnittstelle der Evolution zwischen Fischen und Landwirbeltieren. Er ist ein naher Verwandter der Fischart, die als Vorfahr von Amphibien, Reptilien, später Vögeln und irgendwann auch der Säugetiere gilt. Das hat ein international zusammengesetztes Forscherteam, an dem Manfred Schartl beteiligt war, erst vor wenigen Monaten nachgewiesen.

    Das weltweite Netzwerk von Wissenschaftlern hatte in einer zwei Jahre dauernden Arbeit das Genom des Quastenflossers entschlüsselt und mit dem anderer Lebewesen verglichen. Ziel war es unter anderem, eine Frage zu klären: Welche heute noch lebende Fischart ist wohl am nächsten mit dem Fisch verwandt, der vor ungefähr 400 Millionen Jahren als erster das Wasser verlassen hat und an Land gekrochen ist? In Frage kamen der Quastenflosser und der Lungenfisch.

    Das Ergebnis der Analyse war eindeutig: Nicht der Quastenflosser, sondern der Lungenfisch ist nächster Verwandter des ersten Landgängers.

    Zur Pressemitteilung über die Entschlüsselung des Quastenflosser-Genoms

    „Single male paternity in coelacanths”. Kathrin P. Lampert, Katrin Blassmann, Karen Hissmann, Jürgen Schauer, Peter Shunula, Zahor el Kharousy, Benjamin P. Ngatunga, Hans Fricke & Manfred Schartl. Nature Communications, published online 18.09.2013, doi: 10.1038/ncomms3488

    Kontakt

    Prof. Dr. Manfred Schartl, Lehrstuhl für Physiologische Chemie,
    T: (0931) 31-84149, phch1@biozentrum.uni-wuerzburg.de

    Dr. Kathrin P. Lampert, Department of Animal Ecology, Evolution and Biodiversity, Ruhr-Universität Bochum, T (0234) 32-25573, kathrin.lampert@rub.de

     

    Von Gunnar Bartsch

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