Neue Strategie gegen Viren
18.01.2010Viren sind sehr wandlungsfähig und darum schwer zu bekämpfen. Wissenschaftler vom Biozentrum der Uni Würzburg haben deshalb, unabhängig voneinander, nach neuen Ansatzpunkten für eine Therapie gesucht – und sind jeweils auf ihre Weise fündig geworden.

Virusinfektionen können lebensgefährlich sein – deutlich wurde das erneut in den vergangenen Monaten, als sich die Neue Grippe („Schweinegrippe“) weltweit ausbreitete und Menschen daran starben.
Andere von Viren ausgelöste Krankheiten tauchen seltener in den Schlagzeilen auf, sind aber nicht minder gefährlich. Geschätzte 170 Millionen Menschen sind derzeit weltweit Träger des Hepatitis C-Virus; ihnen drohen Leberzirrhose und Leberkrebs, weil es kein wirksames Medikament gibt, das die Viren in Schach halten könnte.
Viren indirekt angreifen
Impfstoffe und Medikamente richten sich in der Regel direkt gegen die Viren. Weil die Erreger sehr wandlungsfähig sind, können sie aber schnell unempfindlich gegen die Mittel werden.
Allerdings lassen sich Viren auch indirekt angreifen, denn sie sind nicht in der Lage, sich von selbst zu vermehren. Sie müssen dazu ihr Erbmaterial in das Innere einer Wirtszelle bringen, die dann die Aufgabe übernimmt, das Erbgut zu vervielfältigen und neue Viren zu produzieren. Medikamente könnten sich also auch gegen diejenigen Bestandteile der menschlichen Zelle richten, die für die Virenvermehrung wichtig sind.
Genau diesen Ansatz haben zwei Forschungsgruppen für ihre Suche nach neuen Angriffspunkten verfolgt; an beiden waren Wissenschaftler vom Biozentrum der Universität Würzburg beteiligt: Professor Thomas Rudel, Inhaber des Lehrstuhls für Mikrobiologie, und Professor Utz Fischer, Inhaber des Lehrstuhls für Biochemie.
Erbgut des Menschen systematisch durchsucht
Am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin haben in jahrelanger Arbeit Alexander Karlas, Nikolaus Machuy, Thomas Meyer und weitere Kollegen das gesamte Erbgut des Menschen systematisch nach Genen durchsucht, die für die Vermehrung von Grippeviren bedeutsam sind. Die Ergebnisse stellen sie jetzt in Nature vor.
An dieser Arbeit war der Würzburger Professor Thomas Rudel beteiligt. Er hat von 1997 bis Februar 2008 eine Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie geleitet. „Meine Gruppe hat dort maßgeblich zum Aufbau der RNA-Interferenztechnologie beigetragen, die jetzt zu diesem Erfolg geführt hat“, sagt er.
Stark automatisiertes Verfahren verwendet
Wie die Forscher vorgegangen sind? In Kulturen aus Lungenepithelzellen des Menschen haben sie mit der RNA-Interferenztechnologie in einem stark automatisierten Verfahren Schritt für Schritt jedes Gen des Menschen einzeln stillgelegt. Die Zellen wurden mit Grippeviren infiziert; dann untersuchten die Forscher, wie gut sich die Viren noch in den Zellen vermehren konnten.
287 Gene des Menschen helfen Grippeviren
Ergebnis: Unter den 25.000 Genen des Menschen fanden die Forscher 287, ohne die sich Grippeviren vom Typ A nicht vermehren können. Dieser Virustyp verursacht rund 70 Prozent aller Grippefälle.
Ein weiterer Testlauf zeigte: Jeweils rund 120 der 287 Gene helfen den Erregern der Neuen Grippe und einer anderen Virusvariante bei der Vermehrung. Einige Gene, die für beide Erreger zugleich eine Rolle spielen, erwiesen sich zudem als bedeutsam für die Vermehrung der besonders aggressiven Vogelgrippeviren (H5N1).
Damit haben die Forscher neue Angriffspunkte für die Bekämpfung von gleich drei wichtigen Grippevarianten identifiziert.
Suche nach spezifischen Proteinen
Juana Díez, Molekularvirologin an der Universität Barcelona, Andreas Meyerhans, Virologe an der Universität des Saarlandes, und der Würzburger Biochemiker Utz Fischer haben mit ihren Mitarbeitern einen anderen Ansatz gewählt: „Wir haben für eine Gruppe von verwandten Viren, zu denen auch das Hepatitis C-Virus gehört, nach Proteinen in den Wirtszellen gesucht, die bei der Vermehrung des Virenerbguts und seiner Umschreibung in Proteine eine wichtige Rolle spielen“, erklärt Utz Fischer.
Die Suche des Forscherteams war erfolgreich: „Es ist uns gelungen, drei Proteine zu identifizieren, ohne deren Hilfe sich diese Viren nicht vermehren können“, sagt Fischer. Im Labor habe die Blockade dieser Proteine tatsächlich die Infektion zum Stillstand gebracht. Über diese Ergebnisse hat die Zeitschrift PNAS im vergangenen Jahr berichtet.
Evolutionär bewährtes Prinzip
Was die Wissenschaftler überrascht hat: Die von ihnen untersuchte Virengruppe „kapert“ diese Proteine nicht nur in menschlichen Zellen. Die gleichen Proteine werden benutzt, wenn bestimmte Viren Bakterien, Pflanzen oder Tiere befallen. „Es handelt sich also um ein Prinzip, das sich im Verlauf der Evolution als äußerst stabil erwiesen hat“, sagt Fischer.
Die drei Proteine bieten sich somit als idealer Angriffspunkt für eine Vielzahl viraler Infektionen an, möglicherweise sogar für neue, heute noch gar nicht bekannte Virustypen.
Fortgang der Forschung: Wirkstoffe suchen
Wie es weitergeht? Die Forscher am Max-Planck-Institut werden die identifizierten Gene genau charakterisieren und ihre Funktion bestimmen. Um die Therapie der Grippeinfektion voranzubringen, müssten zudem Wirkstoffe gefunden werden, welche die einzelnen Gene oder Genprodukte ausschalten, ohne die normale Funktion der menschlichen Zellen langfristig zu beeinträchtigen.
Erste erfolgversprechende Ansätze hierzu beschreiben die Wissenschaftler schon jetzt in Nature: Das Enzym CLK1 etwa lässt sich mit einem Hemmstoff blockieren. In der Zellkultur führt das nicht zu zellschädigenden Effekten, aber es stört die Grippeviren massiv bei der Vermehrung.
Ähnliches gilt für das Forschungsteam um Utz Fischer: An einzelnen Leberzellen konnte es für das Hepatitis C-Virus bereits zeigen, dass die Blockade der identifizierten Proteine die Vermehrung verhindert. Nun müssen weitere Untersuchungen am lebenden Organismus prüfen, ob diese Blockade frei von Nebenwirkungen verläuft.
Großes Potenzial der RNA-Interferenztechnologie
Mikrobiologe Thomas Rudel: „Unsere Ergebnisse zeigen deutlich das große Potenzial der RNA-Interferenztechnologie: Wenn man damit ein komplettes Erbgut untersucht, lassen sich Wechselwirkungen zwischen Infektionserregern und Wirten aufzeigen und neue Angriffspunkte für Medikamente finden.“
Tripper-Erreger: Projekt am Biozentrum
Rudel setzt die RNA-Interferenztechnologie für seine Forschung am Würzburger Biozentrum weiterhin ein. Sein Team sucht damit unter anderem nach Wechselwirkungen zwischen menschlichen Zellen und Neisserien – zu dieser Bakteriengattung gehören auch die Erreger der Geschlechtskrankheit Tripper.
In Kulturen von Zellen des Gebärmutterhalses werden aktuell 9.000 Gene daraufhin untersucht, ob sie den Neisserien beim Überleben im Körper des Menschen helfen. Die Europäische Union und das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördern das Projekt in ihrem Programm ERA-NET PathoGenoMics.
„Genome-wide RNAi screen identifies human host factors crucial for influenza virus replication”, Alexander Karlas, Nikolaus Machuy, Yujin Shin, Klaus-Peter Pleissner, Anita Artarini, Dagmar Heuer, Daniel Becker, Hany Khalil, Lesley A. Ogilvie, Simone Hess, Andre P. Mäurer, Elke Müller, Thorsten Wolff, Thomas Rudel und Thomas F. Meyer, Nature, online publiziert am 17. Januar 2010, DOI 10.1038/nature08760
“Translation and replication of hepatitis C virus genomic RNA depends on ancient cellular proteins that control mRNA fates”; Nicoletta Scheller, Leonardo Bruno Mina, Rui Pedro Galao, Ashwin Chari, Mireia Giménez-Barcons, Amine Noueiry, Utz Fischer, Andreas Meyerhans and Juana Díez. DOI 10.1073/pnas.0906413106
Kontakt
Prof. Dr. Thomas F. Meyer, Abteilung Molekulare Biologie, Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie, Berlin, T (030) 28 460 400, meyer@mpiib-berlin.mpg.de
Prof. Dr. Thomas Rudel, Lehrstuhl für Mikrobiologie, Universität Würzburg, T (0931) 31-84401, Thomas.Rudel@biozentrum.uni-wuerzburg.de
Prof. Dr. Utz Fischer, Lehrstuhl für Biochemie, Universität Würzburg, T (0931) 31-84029, utz.fischer@biozentrum.uni-wuerzburg.de