• Honigbienen <i>Apis mellifera</i> Arbeiterinnen auf teilweise verdeckelter Brutwabe
  • Doppelte retrograde Fluoreszenzfärbung (rot/grün) synpatischer Boutons
  • Blattschneiderameisen (<i>Atta sexdens</i>) Arbeiterinnen tragen Blattfragmente. Auf einigen dieser Fragmente sitzen winzige Arbeiterinnen derselben Art
Lehrstuhl für Verhaltensphysiologie und Soziobiologie

Gehirne puzzeln: Virtual Reality im Biologiestudium

12.09.2023

Das Serious Game „BrainBuilder“ schickt seine Spieler:innen ins Labor – und vermittelt anatomische und funktionale Aspekte von Insektengehirnen.

Screenshot der aktuellen Spielumgebung des BrainBuilders.
Screenshot der aktuellen Spielumgebung des BrainBuilders. (Bild: Anne Vetter / Universität Würzburg)

Präparierte Objektscheiben nacheinander unter das Mikroskop gelegt veranschaulichen Studierenden in einer Abfolge von Schichten die winzigen Gehirnstrukturen von Insekten. In der Studienzeit von Professor Keram Pfeiffer war das die gängige Didaktik.

„Diese einzelnen Bilder mental zu einem dreidimensionalen Modell zusammenzubringen war nicht einfach für mich“, sagt der Professor für Neurobiologie heute. „Später war es möglich, dreidimensionale Daten am Computerbildschirm von allen Seiten zu betrachten. Obwohl das schon eine erhebliche Erleichterung gegenüber den Schnittpräparaten war, waren wir weiterhin auf den zweidimensionalen Bildschirm begrenzt.“

Als Keram Pfeiffer dann Jahre später mit Virtual Reality (VR) in Berührung kam, sah er darin die Möglichkeit, den entscheidenden Schritt weiterzugehen: Studierende können nun in seinem Kurs die komplizierten Strukturen eines Hummelgehirns durch eine VR-Brille dreidimensional betrachten und sogar mit ihnen interagieren: „Die notwendigen Daten fallen bereits überall an – beim Mikroskopieren, in der Forschung! Wir mussten sie nur noch aufbereiten und nutzen.“, sagt Keram Pfeiffer und betont: „Für Menschen mit einem schlechten räumlichen Vorstellungsvermögen wie mich ist VR ein Segen, für alle anderen eine Bereicherung“.

Weiterentwicklung zum Serious Game

Aus dieser Erfahrung wuchs die Initiative, im Rahmen des Projekts WueDive ein Lernspiel in VR zu entwickeln. Der Biologe arbeitet dazu Hand in Hand mit der Professur für Games Engineering am Fachbereich Human-Computer Interaction. Anne Vetter und Tobias Lengfeld sind Spielentwickler:innen und haben sich auf interaktive Echtzeitsysteme und sogenannte Serious Games spezialisiert: „Das Ziel und die wesentliche Idee ist, komplexe Forschungsdaten wie die eines Hummelgehirns in die Lehrpraxis zu transferieren und erfahrbar zu machen.“

Im Gespräch geben Anne Vetter und Tobias Lengfeld Einblick in die gemeinsame Arbeit.

Wie entsteht ein Serious Game und was versteht man darunter?

Serious Games nutzen spielerische Elemente, um Lehrinhalte zu vermitteln. Es sind Projekte, bei denen mehrere Disziplinen eng miteinander verwoben sind. Natürlich ist hierbei zunächst das konkrete Fachwissen gefragt, wofür wir in unserem Fall eng mit Professor Keram Pfeiffer zusammenarbeiten. Genauso wichtig ist allerdings Kompetenz in den Bereichen Instructional Design und Game Design, so wie die technischen Fähigkeiten, das Ganze zu entwickeln.

Hierfür werden wir von der Games Engineering Group von Professor Sebastian von Mammen unterstützt. Insbesondere Mounsif Chetitah, der im Rahmen seiner Doktorarbeit ein Framework zur Gestaltung effektiver Serious Games erstellt, berät uns regelmäßig bei der Entwicklung. Den Design- und Development-Part übernehmen wir.

Wie seid ihr bei der Entwicklung vorgegangen?

Zum Erstellen des BrainBuilders haben wir zuerst den Lehr-Kontext betrachtet. Da unser Spiel als Unterstützung für eine bestehende Lehrveranstaltung konzipiert ist, zielen wir darauf ab, das bereits erworbene Wissen zu vertiefen, anstatt es von Grund auf neu zu lehren.

Um Wissen effektiv und unterhaltsam in einem Spiel zu vermitteln, nutzen wir das Serious Game Design-Framework von Mounsif Chetitah, welches aus drei Kern-Elementen besteht:  Knowledge Design, Instructional Design and Game Design. Auf dem Fachwissen von Keram Pfeiffer bauen wir das Instructional Design auf. Hierzu folgen wir pädagogischen Grundlagen der Wissensvermittlung. Wir definieren Lernziele und wählen entsprechende Aktivitäten aus, um diese Ziele zu erreichen. In unserem Fall werden diese Aktivitäten in Mini-Games umgesetzt.

Und wie sieht euer Spiel konkret aus?

Übergreifendes Setting ist es, Gehirne verschiedener Insekten in einem Labor zu produzieren. Jede Produktionslinie ist in mehrere Mini-Games unterteilt, die jeweils verschiedene Aspekte des Lernprozesses ansprechen. So hat zwar jedes Mini-Game ein eigenes Lernziel, allerdings dienen sie alle dem Hauptziel des Spiels: den Aufbau eines Insektengehirns zu verinnerlichen.

Am „Schießstand“ geht es beispielsweise darum, das richtige 3D-Modell des Gehirns zu identifizieren und zu treffen. Sich hier jeweils markante Elemente einzuprägen, ist dabei elementar, da die Modelle den Spielenden immer wieder in unterschiedlichen Ansichten präsentiert werden. Die Kür unter den Mini-Games ist ein Puzzle, bei dem die Einzelteile des Gehirns in 3D aus dem Kopf richtig zusammengesetzt werden müssen.

Den Design-Prozess gehen wir iterativ an, sodass in regelmäßigen Abständen Playtesting-Sessions durchgeführt werden und wir das Design entsprechend überarbeiten. Wie das Spiel am Ende genau aussieht, entsteht erst im Projektverlauf.

Lasst uns darüber sprechen, welchen Mehrwert Serious Gaming für den Lernprozess hat. Wie greifen Lernen und Spielen ineinander?

Die enge Verbindung zwischen Lernen und Spielen ist unbestreitbar, da das Spielen selbst eine Lernaktivität darstellt. Durch das Überwinden von Herausforderungen und das Erhalten von Feedback können Spielende ihre Fähigkeiten verbessern und ihr Gelerntes tiefer und nachhaltiger verankern. Das Prinzip des Lernens durch Erfahrung und Fehler ist in vielen Spielen integriert.

Eine gute Spiel- (und Lern-)erfahrung hängt von einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Herausforderung und Fähigkeiten der spielenden Person, abwechslungsreichem Gameplay und einer angemessenen technischen Umsetzung ab. Dazu gehört auch, dass die Interaktionen und die Steuerung intuitiv und verständlich gestaltet sind und die Präsentation der Spielinhalte attraktiv ist. Spielmechaniken wie Belohnungssysteme, Wettbewerb oder Zusammenarbeit können den Lernprozess positiv beeinflussen. Zudem können Spielende stundenlang in Games vertieft sein, ohne dass es sich wie Arbeit anfühlt, was zu einem größeren Lernumfang führen kann.

Im Projekt WueDive geht es auch immer um konkrete Transfermöglichkeiten. Wie schätzt ihr die Übertragbarkeit eures Games auf andere Anwendungsfälle ein?

Sobald das Spiel fertiggestellt ist, müssen die verschiedenen Übertragungsmöglichkeiten individuell betrachtet werden. Zum einen können generische Varianten der einzelnen Mechaniken über den Reality Stack, einer Sammlung unterschiedlicher Lösungen für XR/VR/AR-Anwendungen des Lehrstuhls für Human-Computer Interaction, anderen zugänglich gemacht werden, die beispielsweise ein herkömmliches Puzzlespiel in VR entwickeln möchten.

Auf der anderen Seite kann das gesamte Spielkonzept auch als Beispiel genutzt werden, um anderes Wissen, das sich durch ähnliche Instruktionen lernen lässt, abzubilden. In der Biologie könnten es Skelette oder Organsysteme verschiedener Tierarten und auch des Menschen sein. Darüber hinausgedacht, könnte aber auch der Aufbau eines Computers durch die gleichen Mini-Games wie in unserem Spiel erlernt werden, indem man zunächst einen Plan benötigt, Teile identifiziert und benennt, die Funktionalität versteht und sie zusammenbaut. In diesem Fall müssen nur Modelle und Modelldaten sowie möglicherweise die Story und das Ambiente angepasst werden. Spielaufbau und Mechaniken können jedoch direkt übernommen werden, wodurch der Aufwand für die Entwicklung eines neuen Spiels dieser Art gering ausfallen dürfte.

Vielen Dank für eure Einblicke.


Über das Projekt WueDive

Das Projekt WueDive entwickelt digitale Lehre an der JMU zielgerichtet weiter. Mit dem Einsatz von Technologie soll die Wirksamkeit von Lehren und Lernen verbessert und Studierenden ein an ihre individuellen Voraussetzungen und Bedarfe angepasstes Studium ermöglicht werden. Damit die Integration dieser Technologien in den Lehralltag nachhaltig gelingt, muss die Anwendungsvielfalt der Fächer und die pädagogisch-didaktische Modellierung berücksichtigt werden. Im interdisziplinären Ideenaustausch zwischen Studierenden und Lehrenden aller zehn Fakultäten erschließt WueDive so das Potenzial digitaler Lehre und verankert es breitenwirksam im Lehralltag. Ideen für eigene Vorhaben können laufend an das Projektteam herangetragen werden.

Weblinks

BrainBuilder https://www.uni-wuerzburg.de/projekte/wuedive/projekte/visualisierung-abstrakter-modelle/brainbuilder/

WueDive https://www.uni-wuerzburg.de/projekte/wuedive/

Kontakt

Prof. Dr. Keram Pfeiffer, Professur für Neurobiologie am Lehrstuhl für Zoologie II –Verhaltensphysiologie und Soziobiologie, keram.pfeiffer@uni-wuerzburg.de

Von WueDive-Team

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