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Biozentrum der Universität Würzburg

Landwirtschaft ökologisch intensivieren

09.09.2016

Die gravierenden Veränderungen in den Agrarlandschaften stoppen: Mit diesem Ziel haben sich Wissenschaftler, Landwirte und Vertreter von Behörden zusammengeschlossen. Als möglichen Lösungsansatz sehen sie die ökologische Intensivierung.

Die Larve einer Florfliege mit ihrer Beute, einer Kartoffellaus. (Foto: Matthias Tschumi)
Die Larve einer Florfliege mit ihrer Beute, einer Kartoffellaus. Die biologische Schädlingsbekämpfung durch natürliche Räuber erhöht Erträge und kann durch reduzierte Bodenbearbeitung und strukturreiche Landschaften verbessert werden. (Foto: Matthias Tschumi)

Die Agrarlandschaften in Deutschland haben deutlich an Vielfalt verloren und sind heute stark von Kulturen wie Mais und Raps geprägt. Abgenommen hat auch der Artenreichtum an Tieren und Wildpflanzen, und der exzessive Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln zeigt seine Folgen – zum Beispiel das Bienensterben oder einen Überschuss von Nitrat, der das Grund- und Trinkwasser gefährdet.

Damit muss Schluss sein, meinen Fachleute aus Wissenschaft und Landwirtschaft. „Die Forschung zeigt, dass die Veränderungen in den Agrarlandschaften noch immer meist ungehindert weitergehen“, sagt die Ökologin Sarah Redlich vom Biozentrum der Universität Würzburg. Das wirke sich negativ auf die Umwelt, die Erträge und die Nachhaltigkeit der Landwirtschaft aus.

Ertragreiche und nachhaltige Agrarökosysteme schaffen

Ein Konzept, mit dem sich der Negativtrend umkehren lässt, sieht die Wissenschaft in der ökologischen Intensivierung. Die Grundidee dabei ist, ökologische Prozesse wie Bestäubung und Räuber-Beute-Systeme in den Landbau zu integrieren und gezielt zu managen. Dadurch lasse sich der Einsatz von Insektiziden und Düngemitteln verringern. Im Idealfall sollen Agrarökosysteme entstehen, die ertragreich und nachhaltig sind und zudem den gesellschaftlichen Ansprüchen in Sachen Umweltschutz, Ästhetik und Produktion gesunder Lebensmittel gerecht werden.

Wie die ökologische Intensivierung aussieht? Sie setzt auf Hecken, Feldstreifen mit blühenden Pflanzen, Vielfalt bei den Kulturpflanzen und auf spezielle Bewirtschaftungsformen wie eine Bodenbearbeitung, bei der die Erde nicht gewendet wird. All das fördert die Artenvielfalt, das Ausmaß der Bestäubung und die Bekämpfung von Schädlingen durch ihre natürlichen Feinde. Das zeigen die Ergebnisse des Forschungsprojekts LIBERATION, das unter der Leitung von Professor Ingolf Steffan-Dewenter am Lehrstuhl für Tierökologie und Tropenbiologie im Biozentrum angesiedelt ist.

Die Europäische Union fördert das Projekt mit insgesamt drei Millionen Euro; davon fließen 350.000 Euro in die Forschung an der Uni Würzburg. Das Vorhaben baut auf zwei Vorgängerprojekten auf und geht gleichzeitig neue Wege. Neben dem Ziel, die wissenschaftliche Grundlage für eine ökologische Intensivierung zu legen, ist die Kommunikation der Forschungsergebnisse an die Öffentlichkeit von grundlegender Bedeutung.

Doktorandinnen im Austausch mit Agrarfachleuten

Wissen weitergeben, Feedback bekommen, Kooperationen stärken und gemeinsame Ziele abstecken. Mit dieser Agenda haben Sarah Redlich und ihre Kollegin vom Lehrstuhl für Tierökologie und Tropenbiologie, die Agrarwissenschaftlerin Audrey St-Martin, im Juni 2016 eine Reihe von Veranstaltungen rund um das Thema „Integration ökologischer Prozesse in der konventionellen Landwirtschaft – Chance oder Widerspruch?“ durchgeführt.

Die zwei Doktorandinnen waren mit weiteren Fachleuten des Lehrstuhls unter anderem auf den Feldtagen der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft in Mariaburghausen im Landkreis Haßberge präsent. Zudem hielten sie Vorträge und zwei Workshops auf einem landwirtschaftlichen Betrieb in Güntersleben (Landkreis Würzburg).

Das Interesse an den Veranstaltungen war groß. „Allein bei den Feldtagen waren von den 22.000 Besuchern rund 2000 an unserem Stand und etwa 200 sind an den drei Tagen länger geblieben, um sich über Forschungsergebnisse zu informieren oder um Informationen über die Workshops zu erhalten“, sagt Redlich.

Das Publikum war jeweils bunt gemischt: Es bestand aus Vertretern der Regierung von Unterfranken, des Landschaftspflegeverbands, der Ämter für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und der Bayerischen Bauernverbände. Dazu kamen landwirtschaftliche Berufschullehrer und natürlich Landwirte.

Leuchtturmbetriebe und Bürokratieabbau sind nötig

Schnell wurde dabei klar: Der Handlungsbedarf und der Wille, gemeinsam etwas zu verändern und eine nachhaltigere, ökologischere Landwirtschaft zu erreichen, ist immens. Dazu sei eine kontinuierliche Kooperation zwischen Universität, Landwirten und Regierungsbehörden nötig. „Wir brauchen auch Leuchtturmbetriebe. Sie können einen Anreiz darstellen, Maßnahmen im eigenen Betrieb umzusetzen“, so ein Vertreter des Bauernverbandes.

Gleichzeitig müssten bürokratische Hürden abgebaut werden, weil sie den Enthusiasmus vieler Landwirte oft schon im Keim ersticken. Die Doktorandinnen machen das an einem Beispiel klar: Viele Landwirte, die früher Blühstreifen als Teil des bayerischen Kulturlandschaftsprogrammes (KULAP) angelegt haben, würden dies unter dem neuen KULAP-Programm wohl nicht mehr tun. Denn die Antragstellung sei komplexer und die Bürokratie komplizierter geworden. „Unter anderem müssen neue Blühstreifen jetzt exakt kartiert werden. Das ist sehr zeitaufwändig und birgt die Gefahr, durch kleine Vermessungsfehler mit Sanktionen wegen falscher Angaben oder übergroßer Flächen belegt zu werden“, erklärt Redlich.

Fachleute aus der Praxis an Bord geholt

„Die Veranstaltungen waren ein voller Erfolg“, sind sich die zwei Wissenschaftlerinnen und Lehrstuhlinhaber Professor Ingolf Steffan-Dewenter einig. Das führen sie auch auf zwei Personen zurück, die sie schon in der Planungsphase an Bord geholt haben: Landwirtschaftsmeister Werner Kuhn, auf dessen Betrieb in Güntersleben die Workshops stattfanden, ist Mitbegründer des Netzwerks „Lebensraum Feldflur“. Und Anne Wischemann vom Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Karlstadt ist Wildlebensraumberaterin mit der Aufgabe, Lebensräume für Wildtiere in der Agrarlandschaft zu erhalten, zu verbessern und neu zu schaffen.

Die beiden betrachteten die ökologische Intensivierung noch einmal von einer anderen, nicht-wissenschaftlichen Seite. „Ohne sie wäre dieser Teil des Projektes nur halb so erfolgreich gewesen“, sagen die Würzburger Doktorandinnen. Gemeinsam sei es gelungen, alle Teilaspekte der Problematik zu beleuchten: Wissenschaft, Landwirtschaft und Gesetzgebung. Gleichzeitig wurden wichtige Anstöße für eine nachhaltigere Landwirtschaft gegeben.

Kontakt

Sarah Redlich, Lehrstuhl für Tierökologie und Tropenbiologie, Biozentrum der Universität Würzburg, T +49 931 31-82129, sarah.redlich@uni-wuerzburg.de

Weblinks

Fakten zum EU-Projekt LIBERATION

Zur Website des Lehrstuhls für Tierökologie und Tropenbiologie am Biozentrum der Universität Würzburg

Weitere Bilder

Von Robert Emmerich / Sarah Redlich

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