Institut für Humangenetik

Gestörte zelluläre Kollagen-Sekretion hat große Auswirkungen

18.03.2020

Ein internationales Forschungsteam hat einen Gendefekt identifiziert, der für ein ungewöhnliches neues Krankheitsbild innerhalb einer Familie verantwortlich ist. Daran beteiligt waren Humangenetiker der Universität Würzburg.

Der Stammbaum (oben links) zeigt die Familie mit vier betroffenen Söhnen (schwarze Quadrate), die sowohl vom Vater als auch von der Mutter, eine Mutation (G/G) in TANGO1 geerbt haben. Die Eltern sind blutsverwandt und zeigen jeweils eine defekte (G) und eine wild-typische (A) Genkopie. 
Das Diagramm (unten links) zeigt die Struktur des TANGO1-Proteins mit einem lumenalen und zytoplasmatischen Teil. Die Punktmutation (c.3621A>G) ist zwischen intramembrane und TEER-Domäne lokalisiert und trunkiert den zytoplasmatischen Teil. 
Die Immunfluoreszenzfärbung zeigt Zellen, die das wild-typische TANGO1-Protein (oben links) bzw. das mutierte TANGO1-Protein (unten links) exprimieren. Die grüne Fluoreszenz zeigt die Lokalisation von TANGO1, die rote Färbung (mit Antikörpern gegen das SEC16A-Protein) markiert die Stellen im endoplasmatischen Reticulum, die für den Export von Kollagenen verantwortlich sind. Der Zellkern ist (mit dem Farbstoff DAPI) blau gegengefärbt. Die vergrößerten Bildausschnitte repräsentieren die weiß umrandeten Areale im Zytoplasma. Das wild-typische TANGO1-Protein ist an den Exportstellen des ER lokalisiert, während das mutierte TANGO1 diese Co-lokalisation nicht zeigt.
Der Stammbaum (oben links) zeigt die Familie mit vier betroffenen Söhnen (schwarze Quadrate), die sowohl vom Vater als auch von der Mutter, eine Mutation (G/G) in TANGO1 geerbt haben. Die Eltern sind blutsverwandt und zeigen jeweils eine defekte (G) und eine wild-typische (A) Genkopie. Das Diagramm (unten links) zeigt die Struktur des TANGO1-Proteins mit einem lumenalen und zytoplasmatischen Teil. Die Punktmutation (c.3621A>G) ist zwischen intramembrane und TEER-Domäne lokalisiert und trunkiert den zytoplasmatischen Teil. Die Immunfluoreszenzfärbung zeigt Zellen, die das wild-typische TANGO1-Protein (oben links) bzw. das mutierte TANGO1-Protein (unten links) exprimieren. Die grüne Fluoreszenz zeigt die Lokalisation von TANGO1, die rote Färbung (mit Antikörpern gegen das SEC16A-Protein) markiert die Stellen im endoplasmatischen Reticulum, die für den Export von Kollagenen verantwortlich sind. Der Zellkern ist (mit dem Farbstoff DAPI) blau gegengefärbt. Die vergrößerten Bildausschnitte repräsentieren die weiß umrandeten Areale im Zytoplasma. Das wild-typische TANGO1-Protein ist an den Exportstellen des ER lokalisiert, während das mutierte TANGO1 diese Co-lokalisation nicht zeigt. (Bild: AG Haaf / Humangenetik)

Sie sind vier Brüder und leiden alle unter dem gleichen Krankheitsbild: Ihre Zahnentwicklung ist gestört – die Zähne schieben sich verzögert durch den Kieferknochen, nutzen sich schnell ab und sind ungewöhnlich verfärbt –, dazu kommen Kleinwuchs, verschiedene Unregelmäßigkeiten des Knochenbaus, ein Insulin-abhängiger Diabetes, eine Hörstörung und eine leichte Intelligenzminderung.

Bei der Suche nach den Ursachen für dieses bislang unbekannte Krankheitsbild war jetzt ein Team von Forscherinnen und Forschern aus Deutschland, Belgien und Spanien erfolgreich. Daran beteiligt war auch die Arbeitsgruppe von Professor Thomas Haaf, Inhaber des Lehrstuhls für Humangenetik an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU). In der Fachzeitschrift eLife stellt das Team die Ergebnisse seiner Untersuchungen vor.

Der Austausch eines einzigen Bausteins ist der Auslöser

„Verursacher dieses syndromalen Krankheitsbildes ist eine Punktmutation, das heißt der Austausch eines einzigen Bausteins in der DNA-Sequenz des TANGO1-Gens“, berichtet Thomas Haaf. Die Eltern sind miteinander blutsverwandt; beide tragen die seltene Mutation in ihrem Erbgut und haben sie jeweils an ihre Kinder weitergegeben. Da sie selbst neben der defekten noch eine unveränderte, wild-typische Gen-Kopie besitzen, sind sie selbst gesund.

TANGO1 steht ausgeschrieben für „Transport and Golgi Organization 1 Protein“. Das Eiweiß ist für den zellulären Export und die Sekretion großer Kollagen-Moleküle verantwortlich. Trotz seiner zentralen Rolle beim Transport dieser Moleküle waren beim Menschen bisher noch keine genetischen Defekte in TANGO1 bekannt. „Kollagene sind die meist-produzierten Moleküle im menschlichen Körper. Sie machen etwa 25 Prozent unseres Trockengewichtes aus“, erklärt Haaf. Aufgrund ihrer enormen Zugfestigkeit sind Kollagenfasern ein wichtiger Bestandteil von Bindegewebe, wie beispielsweise Knochen, Zähne oder Knorpel, und Haut.

Störungen bei der Kollagen-Sekretion

Grundbaustein jeder Kollagenfaser ist eine Kollagen-Tripel-Helix – drei spiralförmige Stränge, die umeinandergewickelt sind. Ihre Länge kann bis zu 450 Nanometer erreichen. Im sogenannten endoplasmatischen Reticulum (ER) der Zelle wird die Helix aus verschiedenen Proteinketten zusammengesetzt und muss dann in das Zellplasma exportiert und sezerniert werden. „Das TANGO1-Protein, das den Transport dieser für die Zelle gigantischen Moleküle bewerkstelligt, hat sowohl einen lumenalen, das heißt im endoplasmatischen Reticulum lokalisierten Teil, als auch einen Abschnitt, der ins Zellplasma reicht“, erklärt Haaf.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konnten zeigen, dass die Punktmutation Störungen beim Übertragen der Information vom Gen zum Protein führt. Die mRNA – bildlich gesprochen der Informationsüberträger – wird nicht regelkonform gebildet. „Dem dadurch kodierten TANGO1-Protein fehlt der Abschnitt, der normalerweise ins Zytoplasma reicht. Außerdem ist es nicht an den korrekten Stellen in den Zellen lokalisiert“, so Haaf. Zellkulturexperimente haben gezeigt, dass dadurch die Sekretion von Kollagen 1 und anderen Kollagenen gestört wird.

Ansatz für weitere Forschungsprojekte

Die meisten Symptome der vier Brüder, wie etwa die gestörte Entwicklung von Zähnen und Knochen, sind mit einer Kollagenerkrankung gut vereinbar. „Kollagenopathien können also nicht nur durch defekte Kollagene selbst, sondern auch durch Sekretions-Störungen verursacht werden“, lautet denn auch die Schlussfolgerung des Forschungsteams. Andere Symptome, beispielsweise der verminderte Insulin-Spiegel und Diabetes mellitus, passen da nicht sofort ins Bild. „Sie werden wahrscheinlich nicht durch einen gestörten Export von Kollagenen, sondern von anderen Molekülen verursacht“, sagt Thomas Haaf. Ein besseres Verständnis des TANGO1-abhängigen Transports könnte also auch neue Erkenntnisse über die Entstehung von Diabetes liefern und neue Angriffspunkte für therapeutische Entwicklungen aufzeigen.

Biallelic TANGO1 mutations cause a novel syndromal disease due to hampered cellular collagen secretion. "C. Lekszas, O. Foresti, I. Raote, D. Liedtke, E.M. König, I. Nanda, B. Vona, P. De Coster, R. Cauwels, V. Malhotra, T. Haaf T, eLife, online publiziert am 26. Februar 2020, doi 10.7554/eLife.51319

Kontakt

Prof. Dr. Thomas Haaf, Institut für Humangenetik, Universität Würzburg, T: +49 931 31 88738, thomas.haaf@uni-wuerzburg.de

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